Im Interview: Dr. Björn Hermstein - Professor für Bildungssoziologie in der Sozialen Arbeit

  • 08.04.24 10:45
  • Vera Huber
  •   Suderburg

Prof. Dr. Björn Hermstein ist seit dem 1. Januar 2024 an der Ostfalia Hochschule in Suderburg Professor für Bildungssoziologie in der Sozialen Arbeit.

Am 29.5.2024 findet um 14:15 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema Bildungskommunen statt.

Im Interview gibt er hier bereits Einblicke in seine Lehr- und Forschungstätigkeit.

 

Redaktion: Können Sie Ihre Stationen vor Ihrer Zeit an der Ostfalia Hochschule kurz zusammenfassen und dabei die Themengebiete benennen? Sie haben vier Jahre für die Stadt Oberhausen den Fachbereich Bildungssystementwicklung geleitet. Vielleicht können Sie dabei noch genauer auf Ihre Aufgabenbereiche und erreichte Ziele eingehen. 

Prof. Dr. Björn Hermstein: Nach meinem Realschulabschluss an der heute nicht mehr existenten Hansa-Realschule Soest erlangte ich am Aldegrever-Gymnasium in Soest das Abitur. Nach meinem Zivildienst studierte ich Sozialwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und der Ruhr-Universität Bochum, inklusive eines Auslandssemesters an der West-Universität Temeswar in Rumänien. Essenziell wichtig für meinen Übergang in das Berufsleben war fraglos meine Stelle als studentische Hilfskraft am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund. Nach meiner anschließenden Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFS sowie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist mir dann der Übergang in die kommunale Bildungsverwaltung geglückt.

In der Stadt Oberhausen fand ich eine hochgradig kooperative und leistungsstarke Bildungslandschaft vor, die angesichts enorm steigender SchülerInnenzahlen und nahender Schulreformen (Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz im Grundschulbereich) vor großen Herausforderungen stand und steht.

Mit meinem Tätigkeitsprofil stand ich im Zentrum der Herausforderungen: zunächst für die Schulentwicklungsplanung eingestellt, durfte ich in den letzten beiden Jahren meines Engagements für die Stadt Oberhausen einen eigenen Fachbereich leiten, der mit Blick auf die vielfach miteinander verknüpften Herausforderungen in den Bereichen Schulentwicklung, Schulsozialarbeit, Offener Ganztag und Familienbildung an Schulen eigens geschaffen wurde. Wichtige Meilensteine während meiner Zeit bei der Stadt Oberhausen waren der Beschluss zur Gründung einer neuen Schule sowie die Etablierung der Zukunftswerkstatt Grundschule, in der Kommune, Schulaufsicht, Schulen und Wohlfahrtsträger gemeinsam die Zielperspektiven für die Grundschullandschaft abstecken.

Meine Zeit bei der Stadt Oberhausen führte mir eindrücklich vor Augen, wie dynamisch kommunale Bildungssysteme sind und welche Kraftanstrengungen Kommunen und die Bildungsträger vor Ort aufbringen müssen, um den vielfältigen, teils konfliktbehafteten Ansprüchen zukunftsorientiert gerecht werden zu können.

Redkation: Wo liegt der Fokus Ihrer Professur? 

Prof. Dr. Björn Hermstein: Mein Fokus liegt in erster Linie auf einer für sozialpädagogische Handlungsfelder sinnvollen soziologischen Grundbildung der Studierenden, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte in der Lehre auf sozialen (Bildungs-)Ungleichheiten, Bildungssystemen und dem Zusammenspiel relevanter Sozialisationskontexte, insbesondere von Familie und Bildung, liegen werden.

Im Bereich der Forschung konzentriere ich mich aktuell auf die Erforschung von Formen der Familienbildung im Kontext Schule sowie den Herausforderungen an sozial benachteiligten Schulen. Wichtige Zukunftsfelder meiner Forschungstätigkeit werden die Multiprofessionelle Kooperation in Bildungsorganisationen sowie die Entwicklung kommunaler Bildungs- und Jugendhilfepolitik inklusive der entsprechenden Verwaltungsstrukturen sein.

Somit lassen sich meine Forschungsinteressen wunderbar mit zukünftigen Arbeitsfeldern unserer Studierenden verknüpfen.

Redaktion: Warum haben Sie sich für dieses Forschungs- und Lehrgebiet entschieden?

Prof. Dr. Björn Hermstein: Um ehrlich zu sein wusste ich zunächst nicht, dass es eine Professur in Deutschland gibt, die das weitere Feld der Bildungssoziologie im Kontext der Sozialen Arbeit behandelt. Sozusagen haben sich die Ostfalia und ich also glücklicherweise mit der Professurausschreibung gefunden, da ich nun meine akademischen Interessen mit der Bildung junger Menschen in hervorragender Art und Weise verbinden kann. Obschon ich in der Erziehungswissenschaft promoviert wurde, waren meine Arbeiten stets bildungssoziologisch geprägt. Und nicht zuletzt aufgrund meiner praktischen Erfahrungen in der Kommune kann ich aus eigenen Anschauung bestätigen, dass (bildungs-)soziologisches Wissen absolut praxisrelevant ist.

Redaktion: Was fasziniert Sie am meisten an Ihrer Professur?

Prof. Dr. Björn Hermstein: Nach meinem Kenntnisstand ist es die einzige Professur, mit der die Bildungssoziologie als relevante Fachdisziplin für die Soziale Arbeit ausgewiesen wird . Hier hat die Ostfalia meiner Ansicht nach ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen, werden die Bildungsbiographien der Menschen doch zu einem Großteil von Personen begleitet und gestaltet, die Soziale Arbeit studiert haben, sei es in der Kita, der Schule, dem Jugendclub oder auch der beruflichen Wiedereingliederung. Mit einer fundierten bildungssoziologischen Grundbildung möchte ich den Studierenden handhabbare Reflexionsfolien anbieten, um die komplexen Geschehnisse in ihrer Berufspraxis auch aus einer soziologischen Distanz heraus verstehen und bewältigen zu können. Hierin ehe ich ein fruchtbares Betätigungsfeld, welches ich in den kommenden Jahren im Spannungsfeld von Forschung, Lehre und Praxis bestmöglich bestellen möchte.

Redaktion: Wenn Sie Ihre jetzige Position mit Ihren vorherigen Tätigkeiten vergleichen – was ist für Sie die größte Veränderung?

Prof. Dr. Björn Hermstein: Auch wenn der Leistungsdruck grundsätzlich nicht weniger geworden ist, bleibt nun wieder mehr Zeit für das konzentrierte Arbeiten. In der kommunalen Bildungspraxis war ich zuletzt verantwortlich für eine Abteilung mit nahezu zwanzig Mitarbeitenden, die wiederum mitverantwortlich waren für die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen einer ganzen Großstadt. Meine Tätigkeit war entsprechend von großer Bedeutung für die Stadt Oberhausen, was sich auch am enormen öffentlichen, politischen und medialen Interesse zeigte. Meine Peer-Group war sozusagen, wenn auch nicht immer direkt, die gesamte Stadtgesellschaft, da ist es hier an der Ostfalia auch durch das gute Zusammenwirken von KollegInnen, Studierenden und VerwaltungsmitarbeiterInnen doch etwas überschaubarer als zuletzt. Wobei die Bedeutung der Funktionen beider Tätigkeiten nicht wertend gegeneinander abgewogen werden können.

Redaktion: Was ist Ihnen im Umgang mit Studierenden und Kolleg*innen besonders wichtig?

Prof. Dr. Björn Hermstein: Generell schätze ich verbindliches und zielorientiertes Zusammenwirken, wobei immer auch auf die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Personen Rücksicht zu nehmen ist. Die Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme und einem verantwortungsvollen demokratischen Miteinander sind ja auch wichtige Professionalisierungsherausforderungen, die unsere Studierenden zu meistern haben. Hierzu möchte ich auch durch mein praktisches Tun erkennbare Beiträge leisten.

Redaktion: Welche Ziele haben Sie sich für die zukünftige Arbeit an der Ostfalia Hochschule gesetzt und was sind dabei die größten Herausforderungen?

Prof. Dr. Björn Hermstein: Im Rahmen der Lehre möchte ich die Bedeutung der Bildungssoziologie für die Soziale Arbeit klarer als bisher geschehen herausarbeiten, was dann optimalerweise in einem Lehrbuch mündet . Zudem erachte ich es für einen Standort wie Suderburg als wichtig, über die erfolgreiche Einwerbung von (drittmittelunterstützten) Förderprojekten die eigene Leistungsfähigkeit im Feld der Forschung unter Beweis zu stellen, um sich so über Forschungsvorhaben mit relevanten Akteuren aus Praxis und Wissenschaft zu vernetzen. Dabei ist es erst einmal egal, ob es sich um kleinere Begleitforschungen für Praxisprojekte oder größer angelegte Forschungsvorhaben handelt. Schlussendlich muss auch für das regionale Umfeld sowie die Studierenden vor Ort praktisch erfahrbar sein, dass gut gemachte Forschung ein Wert an sich ist. Hochschulen für angewandte Wissenschaften stehen hier gegenüber Universitäten oder spezialisierten Forschungsinstituten vor besonderen Herausforderungen, weisen aber angesichts der ausgezeichneten regionalen Vernetzung und der einzigartigen Praxisnähe aber auch unverkennbare Potenziale auf. Diese mit meinen KollegInnen gemeinsam zu heben, darin sehe ich eine zentrale Aufgabe für mich an der Ostfalia.

 

Björn Hermstein

Prof. Dr. Björn Hermstein.  Foto: privat

 

Mehr Informationen unter:  https://www.ostfalia.de/cms/de/pws/hermstein/ 

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Interview: M. Ruhm

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