Meine „Technik-Verliebtheit“ wurde mir in die Wiege gelegt, beide
Großväter waren Schmiedemeister in der Nähe der Lutherstadt Wittenberg. Auch mein Vater hatte
ursprünglich Landmaschinentechniker gelernt, sich dann aber mit einem Brotbetrieb selbstständig
gemacht. Es lag also relativ nahe, dass ich beruflich in Richtung Technik tendieren würde.
Meine Eltern sind kurz vor dem Mauerbau aus der DDR geflohen und
mussten sich ein ganz neues Leben aufbauen. Diese Familiengeschichte hat die Einstellung geprägt,
dass man für seine Ziele und Visionen kämpfen muss. Meine Mutter ist gelernte Schneiderin und hat
auch während der Kindererziehungszeit mit selbständigem Nähen ihr eigenes Einkommen verdient. Ich
habe zwei Brüder und eine Schwester. Mein älterer Bruder ist Textilkaufmann geworden. Mein jüngerer
Bruder hat sich zunächst für die außergewöhnliche Kombination von Informatik und Philosophie
interessiert und ist heute selbstständig auf dem Gebiet Programmieren und Hardwareverkauf. Meine
Schwester ist Krankenschwester geworden.
Ich bin in Gütersloh geboren und habe zunächst eine Realschule
besucht und mich dort mehr schlecht als recht durchgeschlagen. Allerdings stellte ich zu dieser
Zeit schon etwas für mich sehr Wichtiges fest: Ich war anscheinend in der Lage, anderen ganz gut
etwas beizubringen und so gab ich schon als Schüler Nachhilfeunterricht.
Gegen Ende der Schulzeit besorgte ich mir in Eigeninitiative zwei
Praktika: Drei Wochen lang erlebte ich zunächst in einem großen Unternehmen für Mähdrescher-Motoren
einen Durchlauf vom Zerlegen der Motoren bis zum erneuten Zusammenbau. Doch besser noch gefiel es
mir in einer kleinen Zylinderschleiferei. Dort gab es keine Arbeitsteilung, sondern es wurde in
Teams (meist ein Geselle und ein Lehrling) gearbeitet: Motor zerlegen, vermessen, Teile bestellen
und anschließend wieder montieren. Und so überraschte ich meine ahnungslosen Eltern mit einem
Vertrag über eine Lehre als Kfz-Mechaniker mit Fachrichtung Motorinstandsetzung in ebendiesem
Betrieb. Ihre Erziehung zu eigenverantwortlichem Handeln hatte Früchte getragen.
In der Berufsschule stellte ich fest, dass Lernen richtig Spaß
machen kann, wenn man sich für das Gebiet wirklich interessiert. Auch in dieser Zeit verdiente ich
zusätzliches Geld mit Nachhilfe. So bereitete ich einen Berufsschüler, der im dritten Lehrjahr war,
auf die Wiederholung der schriftlichen Abschlussprüfungen vor, während ich im ersten Lehrjahr war.
In der Lehre wurde mir bewusst, dass ich weiterlernen möchte und ich besuchte anschließend die
Fachoberschule. Im Gegensatz zur Realschule hatte ich dort mit den Fächern Deutsch und Englisch
überhaupt keine Probleme und machte einen sehr guten Abschluss.
Mein anschließender Studienwunsch ging in Richtung
Konstruktionstechnik. Ich fand es sehr interessant, herauszufinden, welche Ursachen zu defekten
Teilen führen, um dann auf Grundlage dieses Wissens die Konstruktion zu optimieren. Als Studienort
wählte ich die Gesamthochschule in Paderborn. Als ich meinen Eltern von diesen Plänen erzählte, war
ich ganz verblüfft, als mein Vater sagte, er erlaube mir das Studieren. Mir war vorher gar nicht in
den Sinn gekommen, dass er es mir verbieten könnte. Aber man muss wissen, dass es zu damaliger Zeit
selbstverständlich war, dass Kinder, die bei Ihren Eltern lebten und eigenes Geld verdienten,
Kostgeld abgaben. Da ich studieren wollte, war dies nicht möglich.
Ich erhielt den vollen Bafög-Satz und war somit weitestgehend
unabhängig von meinen Eltern. So lebte ich die ersten vier Semester zu Hause, brauchte kein
Kostgeld abzugeben und kam mit dem Bafög aus. Als ich später mit meiner damaligen Freundin nach
Paderborn zog, hat unser Bafög zwar gerade so zum Leben gereicht, aber Kino, Urlaub oder sonstige
Extras konnten wir uns nicht leisten.
Zu Zeiten meines Studiums gab es viel weniger Studierende als
heute. Die 68er Jahre waren gerade vorbei und es gab einige neue Bildungsformen wie die
Gesamthochschule, Fachhochschule und Universität in einem. Aber es war keine Normalität, dass
Handwerkerkinder studierten.
Nach 11 Semestern schloss ich mein Studium zum Diplomingenieur
Maschinenbau, das eine Regelstudienzeit von 9 Semester hat, aber wofür Studierende im Durchschnitt
12 Semester benötigten, ab. Meine Studienphase empfinde ich heute im Rückblick als die
anstrengendste Zeit in meinem Leben. Am Anfang war neben dem vielem Lernstoff noch die Angst vorm
Scheitern. Nach einigen ganz gut bestanden Klausuren gewann ich immer mehr Sicherheit und dann
machte mir das Hauptstudium sogar Spaß. Ich entwickelte meine These, den höchsten Bildungsabschluss
anzustreben, den man erreichen kann.
Aber nach dem langen Studium wollte ich erst einmal Geld verdienen
und arbeitete zwei Jahre in der Automobilindustrie bei Hella in Lippstadt. Dort durfte ich die
elektronische Regelung der Heizung und Klimatisierung vom Porsche 911 mit entwickeln und meine
Aufgabe war die Konstruktion der Stellantriebe. Dies machte mir Spaß, aber mir wurde bald klar,
dass ich im Studium viel mehr Wissen erworben hatte, als ich für diese Aufgaben benötigte. So
bewarb ich mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kassel, wo mich der
neuberufene Professor für Leichtbau als zweiten Mitarbeiter einstellte und ich übernahm und
erfüllte die Aufgabe, ein Labor für Betriebsfestigkeit einzurichten.
Zwei Jahre später fragten mich Studierende, ob ich die Entwicklung
eines Solar-Rennfahrzeuges betreuen würde. Zusammen mit einem Berufsschullehrer und dessen Schülern
gründeten wir eine Arbeitsgruppe, untersuchten alle physikalischen Einflüsse und bauten ein
futuristisch aussehendes Rennfahrzeug. Wir starteten in der zweiten Klasse und gewannen auf Anhieb
die Weltmeisterschaft in der Schweiz. Die Erkenntnisse aus diesem Projekt sollten nicht verloren
gehen und ich entwickelte daraufhin mit Studierenden das alltagstaugliche Leichtbau-Elektrofahrzeug
„Sunhopper". Nach dessen Fertigstellung erhielt es bei einer Wettfahrt von Kassel nach Berlin den
Innovationspreis der Stiftung Warentest als energieeffizientestes Fahrzeug.
In dieser Zeit verdiente ich mein Geld durch die Beratung von
Firmen, die konventionelle Fahrzeuge auf Elektroantrieb umbauten. Anschließend bekam ich einen Job
bei der Firma „Hotzenblitz“ und bearbeitete Gesamtfahrzeugthemen bei der Entwicklung eines
viersitzigen Elektrofahrzeugs. Nebenbei arbeitete ich an meiner Promotion, die ich von 1992 bis
1997 abends und am Wochenende verfasste. 1997 hatte ich schon an der Uni Kassel und an der
Fachhochschule Bielefeld jeweils eine halbe Vertretungsprofessur. In Kassel hatte ich die spannende
Aufgabe, Designstudenten alles Maschinenbautechnische beizubringen. In Bielefeld hatte ich
Mathematik für Ingenieure gelehrt und Fahrzeugprojekte betreut.
Ich erhielt 1998 bei der Deutschen Post Consult das Angebot, eine
Abteilung für die Entwicklung von E-Fahrzeugen zu leiten. Gleichzeitig wurde mir von Volkswagen die
Leitung der Entwicklung des 1-Liter-Autos angeboten. Trotz geringerer Bezahlung entschied ich mich
für die spannendere Aufgabe, für Volkswagen ein Fahrzeug an der Grenze des technisch Machbaren zu
entwickeln. So kam ich 1998 in die Wolfsburger Region. Bei Volkswagen machte ich mir zunächst
Gedanken über Aussehen und Rahmenbedingungen für die Konstruktion des Fahrzeuges. Meinen Entwurf
mit physikalischen Berechnungen durfte ich irgendwann dem Vorstand vorstellen, der mir erlaubte,
alle Maßnahmen einzusetzen, um das Ziel 1-Liter-Verbrauch zu erreichen. Ich bekam nach und nach
Mitarbeiter zugeteilt und es wurde eines der wichtigsten Projekte der Forschung. Das war eine
spannende Zeit. Ich bekam die Chance, zu zeigen, was machbar ist, wenn alle technischen Lösungen
einer konventionellen Entwicklung in Frage gestellt werden. Dafür bin ich Volkswagen noch heute
sehr dankbar.
Da mich die Wissensvermittlung an Studierende immer interessierte,
habe ich nebenberuflich Studierende der HBK in Braunschweig bei Fahrzeugprojekten betreut. 2007
bekam ich an der HBK eine Honorarprofessur. Als ich von der Ausschreibung der Professur für
Fahrzeugkonzepte an der Ostfalia erfuhr, bewarb ich mich und durfte die Stelle im Januar 2011
antreten.
Für mich steht ganz klar meine Unabhängigkeit und
Selbstbestimmtheit im Vordergrund, und so fiel es mir nicht schwer, den zwar lukrativeren, aber
fremdgesteuerten Job in der Industrie aufzugeben, um als Professor selbst entscheiden zu können, an
welchen Themen ich forsche und mein Wissen und meine Erfahrung an junge Menschen weiterzugeben.
Ich brauche eine Vision, die mir die Richtung weist, selbst wenn
ich weiß, dass ich möglicherweise nie ankommen werde. Meine Vision ist ein Auto, das keine negative
Auswirkung auf Mensch und Natur hat. 2050 sollen alle Sektoren in Europa nur noch maximal 5% CO
2 ausstoßen und heute ist nicht klar, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Den Weg für
die Fahrzeugentwicklung zu beschreiben ist im Moment meine wichtigste Forschungsaufgabe. Seit 2012
bin ich auch Institutsleiter. Mein Ziel ist es, das Institut für Fahrzeugbau Wolfsburg für
zukünftige Aufgaben zu rüsten und die Kompetenzen zu fördern, die für zukünftige
Fahrzeugentwicklungen notwendig sind.
Ein Erfolgsfaktor im Studium ist mit Sicherheit die Lerngruppe.
Durch meine Erfahrung besonders mit den Nachhilfeschülern weiß ich, wie sehr es einem selbst hilft,
etwas zu verstehen, wenn man es erklären muss. Und so haben wir in meiner Studienzeit unsere
Lerngruppe konzipiert: Jeder schaute sich den Stoff zunächst alleine an und dann stellten wir uns
gegenseitig Fragen. Erst dabei wird aufgedeckt, wo die Wissenslücken sind.
In der Schule und im Studium wird Wissen vermittelt. Später im
Berufsleben kommen erforderliche Kompetenzen und Wissenstransfer hinzu. Dass lebenslanges Lernen
heute im Berufsleben erforderlich ist, weiß jeder. Dazu gehören nicht nur Weiterqualifikationen,
sondern auch die innere Einstellung, nie aufzuhören, Fragen zu stellen.
Um das richtige Studium zu finden, sollte man sich gut kennen. Wer
bin ich eigentlich? Was will ich im Leben erreichen? Wo sind meine Interessen? Das Wichtigste ist,
herauszufinden, wofür man eine Leidenschaft entwickelt kann. Ohne Leidenschaft ist es Quälerei.
Was hat mir mein Studium gebracht? Nicht der Titel
Diplom-Ingenieur, sondern das im Studium erlernte Wissen brauchte ich, um mich beruflich
weiterzuentwickeln.