Im Interview: Prof. Dr. Carsten Meyer

  • 27.11.20 09:00
  • Sabrina Dora Seal

Prof. Dr. Carsten Meyer erhielt seinen Ruf an die Ostfalia im August 2020. Seit dem Wintersemester 20/21 lehrt und forscht der Professor für Künstliche Intelligenz an der Fakultät Informatik am Campus Wolfenbüttel. Mehr darüber berichtet er im Interview mit der Ostfalia-Redaktion.

 

Was haben Sie vor Ihrem Ruf gemacht?

Nach dem Abitur habe ich mich für ein Physik-Studium in Göttingen entschieden und zwischendurch auch ein Jahr in Freiburg studiert. Etwas Luft außerhalb des universitären Alltags habe ich danach in einem zweimonatigen Praktikum in einer Managementberatung in Neuss geschnuppert, bevor es mich wieder an die Universität zurückzog. Mich hatten die aufkommenden Modelle neuronaler Netzwerke so fasziniert, dass ich meine Promotion in Statistischer Physik neuronaler Netzwerke begonnen habe. Dabei habe ich den größten Teil meiner Arbeit an der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel angefertigt, die damals – neben einigen Universitäten in den USA – führend in interdisziplinären Ansätzen (Medizin, Physik, Informatik, …) zu diesem Thema war. Abgeschlossen habe ich die Promotion dann an der Universität Göttingen. Anschließend war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Senior Scientist im Philips Forschungslabor Aachen, wo ich zunächst an automatischer Spracherkennung gearbeitet habe. Neben der Entwicklung maschineller Lernverfahren für Auskunfts- und Navigationssysteme war ich Projektleiter für die Sprachverarbeitung in professionellen Diktiersystemen, die zur Generierung medizinischer Reports eingesetzt wurde. Nach Projekten in der medizinischen Signalverarbeitung (EKG-Analyse) und medizinischen Bildgebung (Simulation und Auswertung nuklearmedizinischer Bilddaten) bin ich dann in die medizinische Bildverarbeitung gewechselt, zunächst im Philips Forschungslabor Aachen und später im Forschungslabor Hamburg. Schwerpunkt war wiederum die Anwendung maschineller bzw. statistischer Verfahren zur Analyse von Röntgen- und CT-Bildern in der Kardiologie bzw. MR-Bildern in der Neurologie.

Nach über einem Jahrzehnt in der Industrieforschung hat mich die akademische Welt dann wieder gereizt, vor allem, um mein Wissen an die jüngere Generation weiterzugeben. Daher habe ich 2011 einen Ruf auf eine Professur für Informationstechnologie an der Fachhochschule Kiel angenommen. Daneben war ich auch weiterhin für das Philips Forschungslabor Hamburg an einem Projekt zur medizinischen Bildverarbeitung in der Neurologie (automatische Segmentierung von Gehirnstrukturen) beteiligt. 2014 bin ich Zweitmitglied der Technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel geworden und durfte somit auch Promotionen betreuen. Meine Forschungsarbeit wurde nun zunehmend von dem sich immer mehr durchsetzenden Trend des „Deep Learning“ bestimmt, womit sich der Kreis zu den neuronalen Netzwerken wieder geschlossen hat.

 

Wo liegt der Fokus Ihrer Professur?

In meinem Berufungsgebiet „Künstliche Intelligenz“ werde ich den Schwerpunkt zunächst auf die als „Deep Learning“ bezeichneten Verfahren des maschinellen Lernens legen. In Weiterführung meiner bisherigen Forschungsschwerpunkte konzentriere ich mich dabei besonders auf die medizinische Bildanalyse. Aktuell bin ich an zwei Forschungsprojekten beteiligt: In „KI-SIGS“ (Künstliche Intelligenz – Space für Intelligente Gesundheitssysteme“) entwickeln wir in einem Teilprojekt mit den Universitäten Kiel und Lübeck, mit der Philips-Forschung und weiteren Partnern Deep Learning-basierte Verfahren zur automatischen Erkennung von Wirbelfrakturen in CT-Daten, da solche Frakturen in der Notaufnahme des Krankenhauses oft nicht im primären Fokus der Aufnahme stehen und daher leicht übersehen werden. In einem weiteren, ähnlichen Projekt mit den Universitäten Kiel, Lübeck und Erlangen geht es um die Anwendung von Künstlicher Intelligenz bzw. Deep Learning zur Vorhersage des Risikos für künftige Wirbelbrüche anhand von CT-Daten, mit dem Ziel, möglichst frühzeitig therapeutische Maßnahmen einleiten und damit osteoporotisch bedingte Wirbelbrüche so gut es geht vermeiden zu können.  

Ich bin aber auch gespannt auf die neuen Möglichkeiten, die sich mit den Kollegen an der Ostfalia und mit der lokalen Industrie ergeben. Dabei denke ich zum Beispiel an die industrielle Bildanalyse, aber auch an die automatische Auswertung von Zeitreihen. Vielleicht ergeben sich auch Projekte aus dem Anwendungsbereich der Sprachverarbeitung.

Längerfristig gehe ich davon aus, dass die aktuell vorherrschenden Methoden des Deep Learning mit Verfahren der traditionellen bzw. symbolischen künstlichen Intelligenz kombiniert werden; auch das wird ein spannendes Forschungsgebiet werden.

In der Lehre möchte ich die Studierenden an diese extrem spannenden Entwicklungen heranführen, die immer mehr technische und gesellschaftliche Bereiche erfassen und zu enormen Veränderungen führen werden. Dabei ist mir ein kritischer und bewusster Umgang mit der Technologie sehr wichtig. Vielleicht ist das ja auch ein Thema für interdisziplinäre Veranstaltungen mit anderen Fakultäten?!

 

Welche Tipps würden Sie Ihren Studierenden für ein erfolgreiches Studium geben?

Im Studium sollte man sich meiner Meinung nach stark von seinen Interessen, Neigungen und Fähigkeiten leiten lassen. Schon das Studienfach, aber auch die Vertiefungen, Schwerpunkte und Wahlfächer sollten so gewählt werden, dass sie Interesse und Begeisterung hervorrufen (auch wenn einen natürlich nicht jedes Fach interessieren kann). Dieses Interesse am vermittelten Stoff hilft, kontinuierlich am Ball zu bleiben und auch über Motivationslücken, Durststrecken oder andere Widrigkeiten hinwegzukommen. Die kontinuierliche Beschäftigung mit dem Stoff während des gesamten Semesters (und nicht erst vor und für die Klausuren) ist ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt für ein erfolgreiches Studium. Letztendlich lernt man ja nicht für die Klausur, sondern für seine Zukunft - und dafür hilft das Interesse am Fach! Außerdem empfehle ich, sich geeignete Lerngruppen zu suchen: Gemeinsam lernt es sich nicht nur leichter, sondern auch angenehmer. Und man lernt noch wichtige überfachliche Fähigkeiten, zum Beispiel Teamarbeit, Kommunikation, Umgang mit schwierigen Situationen und vieles mehr. Wenn es wieder möglich ist, empfehle ich jedem, das zu nutzen, was noch zum Studium und zur Hochschule gehört: Soziale Aktivitäten, Sportprogramm, überfachliche Angebote - mal über den Tellerrand schauen und, wenn möglich, auch Angebote anderer Fakultäten nutzen. Außerdem möchte ich den Studierenden unbedingt ein Auslandssemester oder -jahr ans Herz legen – ein unvergessliches Erlebnis…

 

Worauf freuen Sie sich als Professor an der Fakultät Informatik besonders?

Besonders freue ich mich auf die Arbeit mit dem Kollegium und den Studentinnen und Studenten. Die Arbeit mit interessierten Studierenden hat mir schon in Kiel am meisten Spaß gemacht, und ich bin sicher, dass dies auch an der Ostfalia so sein wird. In der Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in der Fakultät, aber auch in den Dezernaten und Serviceeinrichtungen habe ich dankenswerterweise bereits sehr viel Unterstützung erhalten. Die Bandbreite an Themen, die an der Fakultät Informatik, aber auch an anderen Fakultäten an der Ostfalia vertreten werden, finde ich beeindruckend; ich bin gespannt, welche Kooperationen und Projekte sich ergeben – das Angebot ist jedenfalls groß genug!

Prof. Dr. Carsten Meyer

Prof. Dr. Carsten Meyer (Foto:privat)

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