SCALE-UP - Der Lehrraum als dritter Pädagoge

Die Gestaltung von Lehrveranstaltungsräumen ermöglicht Lehrkonzepte und schränkt diese zugleich ein. Sogenannte interaktive Lehre setzt auf studentische Zusammenarbeit und Kommunikation, wofür traditionelle Hörsäle nicht konzipiert wurden. Diese kommunizieren eher, dass die Lehrveranstaltung vordergründig dem Transfer von Information von vorne nach hinten dient.

Als alternatives Raumkonzept hat sich SCALE-UP an verschiedenen Hochschulen als lernförderlich erwiesen. SCALE-UP steht für Student Centered Activating Learning Environment with Upside-down Pedagogies. Das Konzept nutzt den Raum als dritten Pädagogen, neben Dozentin bzw. Dozent und Studierenden.

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Raumdesign

In SCALE-UP-Räumen sitzen Studierende während der Lehrveranstaltungen dauerhaft an Gruppentischen. Dadurch wird jederzeit eine Zusammenarbeit mit Mitstudierenden ermöglicht. So werden Lehrveranstaltungsformate unterstützt, in denen Input-Phasen und Selbst- oder Gruppenarbeitsphasen nahtlos ineinander übergehen.

An den Gruppentischen sitzen die Studierenden mehr oder minder im Kreis. Dadurch ist es nicht möglich, dass alle leichten Sichtkontakt zu einer Tafel oder Leinwand an einer Seite des Lehrraums haben. Damit alle Studierenden in Input-Phasen ungehinderte Sicht auf präsentierte Inhalte haben, werden diese mit mehreren Projektoren in alle Raumrichtungen projiziert. Die Tafel wird durch einen Tablet-Computer oder eine Dokumentenkamera ersetzt.

Einer der SCALE-UP-Räume der Ostfalia Hochschule befindet sich im Dachgeschoss des Informatik-Gebäudes. Aufgrund der Dachschrägen und der Stützsäulen im Raum ist eine Rundumprojektion nicht möglich. Für die studentischen Arbeitstische wurde daher eine U-Form mit Monitoren am Kopfende gewählt.  An jeder Seite des Raumes befinden sich vier dieser Arbeitstische für jeweils sechs Studierende, so dass der Raum eine Kapazität von 48 aufweist.

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SCALE-UP Implementierungen verwenden üblicherweise Gruppentische für ein Vielfaches von drei Studierenden. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass drei nebeneinandersitzende Personen gut zusammenarbeiten können. Andererseits arbeiten Studierende in den Lehrveranstaltungen der Entwickler des SCALE-UP-Konzepts in festen Dreiergruppen zusammen (Beichner, 2007).

Bei der Dimensionierung von Gruppentischen ist der Umfang die entscheidende Größe. Der benötigte Umfang skaliert mit der Anzahl der am Tisch sitzenden Studierenden und hängt linear vom Tischdurchmesser ab. Dagegen skaliert die Tischfläche quadratisch mit dem Umfang. Dies bedeutet, dass bei großen Tischen die für eine Person zu Verfügung stehende Tischfläche größer als benötigt ist, während sie bei kleinen Tischen zu klein ist. Das Optimum befindet sich also irgendwo bei mittleren Tischgrößen. In SCALE-UP-Räumen findet man daher üblicherweise Gruppentische für sechs oder neun Studierende, die somit zwei bzw. drei Dreiergruppen als Arbeitsplatz dienen.

Bei Lehrveranstaltungsräumen mit nur einem Eingang werden Tafel und Dozentenpult üblicherweise an der dem Eingang abgewandten Seite positioniert. Eine übliche Begründung ist, dass dadurch das Störpotential verringert wird, wenn Studierende später kommen oder früher gehen. In SCALE-UP-Räumen steht das Dozentenpult dagegen entweder in der Raummitte oder in der Nähe des Eingangs. Im ersten Fall erleichtert dies den Zugang der Lehrenden zu allen Gruppentischen. Trotz der zentralen Lage des Pultes wird nicht der Eindruck erweckt, dass die Lehrenden im Zentrum der Lehrveranstaltung stehen, denn sie bewegen sich ständig im Raum. Im zweiten Fall kommuniziert die Positionierung des Pults die Rolle der Lehrenden als Gastgeber und Ermöglicher.

Durch das Raumkonzept sollen folgende Botschaften kommuniziert werden:

  • Es gibt kein Vorne im Lehrraum. Lehrende sind nicht die Autorität des Wissens im Raum.
  • Lehrende sind Gastgeber und Ermöglicher. Das Lehrendenpult steht nicht wie ein Altar, auf den alles ausgerichtet ist, im Raum.
  • Gruppenarbeit, Kooperation und Kommunikation unterstützen Lernen. Die Sitze sind auf die Gruppe ausgerichtet. Im Mittelpunkt der Lehrveranstaltung sind die Studierenden und deren Lernen.

Ein Entfaltung des Nutzens des dritten Pädagogen setzt allerdings voraus, dass der zweite Pädagoge tätig ist: die Studierenden. Diese müssen Gelegenheit haben durch Lernaktivitäten in einen Dialog zu treten.

 

SCALE-UP-Räume an der Ostfalia Hochschule

Fakultät Informatik

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Fakultät Fahrzeugtechnik                                Fakultät Maschinenbau                        

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Für die Umsetzung des SCALE-UP-Konzepts wurde die Ostfalia Hochschule zusammen mit der Technischen Hochschule Rosenheim vom Stifterverband mit der Hochschulperle des Monats November 2022 ausgezeichnet.

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Literatur und Tipps

  • Die Webseite von Robert Beichner gibt einen Überblick über Implementationen weltweit mit Bildmaterial von vielen SCALE-UP-Räumen.
  • Die SCALE-UP-Webseite der TH Rosenheim bietet Informationen zu Raum- und Lehrkonzept, stellt ein innovatives Lichtkonzept vor und berichtet über die Akzeptanz bei Studierenden und Lehrenden.
  • Die SCALE-UP-Webseite der FH Kiel stellt den dortigen Raum vor, gekennzeichnet durch viel Liebe zu gestalterischen und technischen Details.
  • Grundlegende Publikation zur Wirksamkeit des SCALE-UP-Konzeptes und der damit verbundenen Didaktik:
    Beichner, R. J., Saul, J. M., Abbott, D. S., Morse, J. J., Deardorff, D., Allain, R. J., & Risley, J. S. (2007). The student-centered activities for large enrollment undergraduate programs (SCALE-UP) project. Research-based reform of university physics, 1(1), 2-39.
  • Publikation zu den Faktoren, die die Einrichtung von SCALE-UP-Räumen durch Hochschulen begünstigen:
    Foote, K., Knaub, A., Henderson, C., Dancy, M., & Beichner, R. J. (2016). Enabling and challenging factors in institutional reform: The case of SCALE-UP. Physical Review Physics Education Research, 12(1), 010103.
  • Vergleichende Untersuchung des Effektes des SCALE-UP-Raums vor und nach Einführung des Raumes:
    Peter Riegler: Spatial aspects of teaching and learning: The classroom as a third educator In Proceedings of EuroSoTL19: Exploring new fields through the scholarshipof teaching and learning, Bilbao, 2019.
  • Lehrende, die an SCALE-UP interessiert sind, sollten im Vorfeld andere SCALE-UP-Räume besichtigen und in Lehrveranstaltungen hospitieren. Auf diese Weise erhalten sie Einblicke in SCALE-UP, die sich in Bild und Text nur schwer festhalten lassen. Auch die SCALE-UP-Protagonisten an der Ostfalia haben vor der Konzeptionierung des ersten Raumes Erkundungstouren unternommen.
  • Eine Lehrinnovation, die in keinem SCALE-UP-Raum fehlen sollte, sind ca. DIN-A2-große Whiteboards, an denen Studierende während der Veranstaltung zusammenarbeiten. Ein Artikel von Kay-Rüdiger Harms beschreibt Details zu deren Einsatz:
    Kay-Rüdiger Harms: Individuelle Whiteboards in der Grundlagenlehrveranstaltung Mathematik, in P. Riegler & Ch. Maas (Hrsg.): Scholarship of Teaching and Learning in der Mathematik. Mathematik-Lehre forschend betrachten, DUZ open, 2022
  • Karte der SCALE-UP-Räume in Deutschland