Ein Teil der Informatik hat ihre Wurzeln in der angewandten Mathematik. Die Bezeichnung Computer geht auf 'to compute', zu Deutsch 'rechnen' zurück. Ein Computer ist als ein Rechner bei dem heutzutage in der Regel die Grundrechenarten auf Hardware-Ebene und weiterführende Funktionen, etwa trigonometrische Funktionen in den Standardbibliotheken der Programmiersprachen, wie etwa FORTRAN, C oder Java implementiert sind. Für komplexere Funktionen existieren ebenfalls Bibliotheken, jedoch nicht für alle derartigen Funktionen. Bestimmte Funktionen und Verfahren sind daher explizit zu programmieren, wobei ab einer bestimmten Komplexität die Überprüfung der Korrektheit des Berechnungsverfahrens äußerst kompliziert und umfangreich werden kann.
Ein Einsatzgebiet solch komplexer Verfahren sind Koordinatenmessgeräte, die in der industriellen Fertigung eingesetzt werden, um z.B. Fertigungstoleranzen zu überprüfen. Die Sensorik nimmt Messpunkte auf und durch Software implementierte Verfahren werden daraus Längen-, Flächen- oder Volumenmaße des Messobjekts berechnet. Die Sensorik arbeitet taktil, optisch und mittlerweile sogar röntgentomographisch im Mikrometer-Bereich. Ein bekanntes derartiges Berechnungsverfahren ist die Methode der kleinsten Fehlerquadrate, dass auf bereits 1795 von Carl Friedrich Gauß beschriebenen Grundlagen basiert und damit über 200 Jahre alt ist.
Das Forschungsprojekt TraCIM (Traceability for Computational-Intensive Metrology) wurde von Juni 2012 bis Mai 2015 im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms EMRP (European Metrology Research Programme) gefördert, um z.B. das Verfahren der kleinsten Fehlerquadrate, das durch Software in Koordinatenmessgeräten implementiert ist zu validieren und zu zertifizieren. Hoheitliche Zertifikate werden durch nationale Metrologieinstitute, sogenannte NMIs (National MetrologyInstitute) vergeben. In TraCIM haben die nationalen Metrologieinsitute Deutschlands (PTB), des Vereinigten Königreichs (NPL), der Tschechischen Republik (CMI), Italiens (INRIM), Sloweniens (UM) und der Niederlande (VSL) an derartigen Zertifizierungsfragen gearbeitet.
Weitere Projektpartner waren die Hochschulen University of Huddersfield, Westsächsische Hochschule Zwickau, University of York sowie die Ostfalia. An der Ostfalia wurden die Arbeiten am Institut für Software Engineering der Fakultät Informatik unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Müller durchgeführt. Die Ostfalia war für die gesamte Software seitige Lösung verantwortlich, während die Metrologieinstitute sowie die anderen Hochschulen an den mathematischen Fragestellungen gearbeitet haben. Zu den Industriepartnern des TraCIM-Projekts gehörten Hexagon, Mitutoyo, Werth und Zeiss, die globale Marktführer bei Koordinatenmessgeräten sind.
Die von der Ostfalia entwickelte Server-Anwendung besteht aus einem Verwaltungskern und sogenannten Expertenerweiterungen, die die jeweiligen mathematischen Verfahren realisieren. Die Architektur ist in der Abbildung dargestellt. Die bei der Physikalisch Technischen Bundesanstalt in Braunschweig seit 2014 produktiv betriebene Anwendung stellt zurzeit die Verfahren von Gauß und Tschebyscheff dar. Auch wird ein Intercomparison-Verfahren durch die entsprechenden drei Expertenerweiterungen bereitgestellt. Die typische Nutzung des Systems stellt sich folgendermaßen dar: Ein Koordinatenmessgerätehersteller fragt über Standard-Internet-Protokollen nach entsprechenden Testdaten für eines der drei Verfahren. Nach Kontrolle der verwaltungstechnischen und betriebswirtschaftlichen Randbedingungen erhält er die entsprechenden Testdaten und verwendet diese als Eingabedaten seiner zu zertifizierenden Software. Das Ergebnis der Berechnung wird wieder zurück zur PTB geschickt, wo die entsprechende Expertenerweiterung die eingereichten, mit den zu erwartenden Ergebnissen vergleicht. Stimmen diese in einem bestimmten Toleranzbericht überein, erhält der Messgerätehersteller ein Zertifikat für die getestete Version seiner Software. Mittlerweile haben alle vier Koordinatenmessgerätehersteller des Projekts mehrere Versionen ihrer Software derartig zertifizieren lassen. Die Anzahl weiterer Zertifizierungen liegt im höheren zweistelligen Bereich.
Im Nachfolgeprojekt ValTraC (Validation of Software Development and Analysis Tools using TraCIM, ebenfalls EMPR-gefördert) arbeiteten die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB), das National Physical Laboratory (NPL), die Ostfalia sowie National Instruments als Industriepartner daran, weitere mathematische Verfahren unabhängig von Koordinatenmessgerätefragestellungen zu validieren und zu zertifizieren. Das Projekt hatte eine Laufzeit von Juli 2016 bis Dezember 2017 und erlaubt es dem NPL ein kommerzielles Zertifizierungsangebot von bisher sechs Berechnungsverfahren anzubieten, die z.B. von National Instruments für LabVIEW benutzt werden können.