Per App zu mehr Inklusion im Museum

Forschende der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel entwickeln in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Schifffahrtsmuseum und der Lebenshilfe Ortsvereinigung Bremerhaven eine App, die Menschen mit intellektuellen Einschränkungen den Museumsbesuch erleichtern soll. Das Projekt „Kulturelle Teilhabe im Museum – Potenziale der Digitalisierung“ verfolgt dabei einen Ansatz, in dem die Zielgruppe selbst auf Augenhöhe mitgestaltet.

Große grüne Kugeln weisen den Weg. Sie führen die Museumsgäste vorbei an interessanten Objekten in der Kogge-Halle zu den historischen Schiffen im Alten Hafen des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven (DSM). Kurze Texte zum Lesen und Hören vermitteln Informationen zum Walfänger RAU IX, zum Betonschiff PAUL KOSSEL oder zur Bremer Kogge von 1380.  Noch ist die App auf dem Handy von Informatik-Professorin Dr. Ina Schiering von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel ein Prototyp, doch schon bald könnte sie Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen den Museumsbesuch erleichtern.

Entstanden ist das partizipative Forschungsprojekt im Rahmen des vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien geleiteten Leibniz-WissenschaftsCampus Postdigitale Partizipation, der sich mit gesellschaftlicher Teilhabe und Digitalisierung beschäftigt.

Im Austausch mit der Museumsgruppe bei der Lebenshilfe Ortsvereinigung Bremerhaven – bestehend aus vier Frauen und vier Männern – wurde der Prototyp der App von den Ostfalia-Forscherinnen Prof. Dr. Ina Schiering (Fakultät Informatik) und Prof. Dr. Sandra-Verena Müller (Fakultät Soziale Arbeit) und ihrem Projektteam konzipiert. Die Ostfalia-Mitarbeitenden Dr. Tanja Böhm, Tom Lorenz und Linda Münch haben dafür eng vernetzt mit agilen Methoden die Anforderungen der Zielgruppe in der App umgesetzt. Das Deutsche Schifffahrtsmuseum diente als Reallabor.

Bei Vor-Ort-Besuchen und einer Schnitzeljagd durch den Museumshafen haben die Gruppenmitglieder der Lebenshilfe mit den Forschenden herausgearbeitet, was ihnen beim Museumbesuch schwerfällt und was ihnen helfen kann. So entstanden auch die grünen Kugeln – in einer früheren Version waren andere Symbole zu sehen. Die Mitglieder der Lebenshilfe haben in einem Workshop aus mehreren Alternativen für sie sinnvolle und verständliche Symbole ausgesucht. „Je einfacher und eindeutiger die Inhalte der App sind, desto besser“, erklärt Prof. Dr. Sandra Verena Müller, Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia-Hochschule. „Kulturelle Teilhabe ist neben der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und der beruflichen Teilhabe ein wichtiger Aspekt, der mehr als ein Add-On ist und nicht hinten runterfallen sollte.“

Das Projekt lief über einen Zeitraum von vier Jahren. „Das Interesse in der Gruppe war riesig“, sagt Rosemarie Brikmanis-Brückner vom Begleitenden Dienst der Lebenshilfe Bremerhaven. Es war so groß, dass selbst Corona die Zusammenarbeit nicht unterbrechen konnte. Statt vor Ort wurden die Gespräche über Webkonferenzen geführt. Methodisch seien die digitalen Interviews durchaus ein Experiment gewesen, wie Ostfalia-Professorin Müller erklärt. „Aber eines, das überraschend gut geglückt ist und spannenden Input gegeben hat.“

Es bereite den Teilnehmenden große Freude, kreativ zu arbeiten und dieses Projekt auch überregional selbstbestimmt zu präsentieren. „Die Museumsgruppe hat großes Interesse, die kommenden Projektphasen mitzugestalten“, so Brikmanis-Brückner. „Wir sehen viel Potenzial in diesem Projekt“, ergänzt Selim Ercins, Werkstattleiter und Pädagogischer Leiter bei der Lebenshilfe Bremerhaven. So könne die App künftig Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen auch auf Wegen außerhalb des Museums die Orientierung erleichtern.

„Das Museum ist für ein Anwendungsfall von vielen möglichen“, bestätigt Prof. Dr. Ina Schiering. „Es liegt in den nächsten Monaten noch ein Stück Arbeit für den finalen App-Prototyp vor uns. Dann ist der Einsatz auch für andere Museen mit Außengeländen oder aber als Orientierungshilfe für regelmäßig zurückgelegte Strecken wie Arbeitswege denkbar.“ Die Anwendung ist dabei so angelegt, dass Kulturbetriebe oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sehr leicht selbst Inhalte einstellen können. Programmierkenntnisse sind hierfür nicht erforderlich. Die App selbst basiert auf einer Kombination aus Augmented Reality und der Lokalisierung mittels GPS; sie ergänzt also die jeweils aktuelle Perspektive der Smartphone-Kamera vor Ort mit zusätzlichen Informationen.

Für DSM-Direktorin Prof. Dr. Ruth Schilling liegen die Gründe für mehr Inklusion im Museum auf der Hand: „Als Deutsches Schifffahrtsmuseum wollen wir ein Museum für alle sein und müssen dies auch sein“, sagt sie. „Unsere Ausstellungen geben Impulse zu Fragen, die uns alle angehen: Zum Beispiel: Wie wollen wir mit dem Ozean umgehen? Oder: Wie global wollen wir leben? Umso wichtiger ist es, dass unsere Ausstellungen niedrigschwellig und so breit wie möglich zugänglich sind.“

In der zweiten Förderphase des Projekts, die bis 2027 läuft, geht es nun für die Ostfalia-Forschenden zum einen darum, den Prototyp der App zu finalisieren und zu testen, zum anderen darum, das Projekt auf eine breitere Basis zu stellen und mit Hilfe von ausgeweiteten Befragungen zu ermitteln, welche Voraussetzungen es für eine bessere kulturelle Teilhabe von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen braucht. „Auch dabei werden wir den partizipativen Ansatz weiterverfolgen und die Museumsgruppe aus Bremerhaven wird beispielsweise bei der Fragebogenentwicklung mitarbeiten. Hier ist für alle Seiten eine nachhaltige, sehr wertvolle Verbindung entstanden, die nicht selbstverständlich ist“, sagt Ostfalia-Professorin Müller.

 

  57_Pressefoto_Schiering-Müller-Schilling_vor_RAU_IX_Foto_DSM_Thomas_Joppig_WEB Pressefoto (DSM/Thomas Joppig): Inklusion und Partizipation im Museum als gemeinsames Anliegen: v.l.: Prof. Dr. Ina Schiering und Prof. Dr. Sandra Verena Müller von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel mit Prof. Dr. Ruth Schilling, Direktorin des Deutschen Schifffahrtsmuseums Bremerhaven.

 

Ihre Ansprechpartnerinnen zu diesem Thema:

Prof. Dr. Sandra Verena Müller
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Fakultät Soziale Arbeit
Telefon: 05331 939 37270
E-Mail: s-v.mueller@ostfalia.de

Prof. Dr. Ina Schiering
Fakultät Informatik
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Telefon: 05331 939 31140
E-Mail: i.schiering@ostfalia.de

 

Text: Gemeinsame Pressemitteilung der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel mit dem Deutschen Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte Bremerhaven (Thomas Joppig/Nadine Zimmer), 24.10.2023