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CoCareLab: Gezielte Verbesserung der Pflege mit digitalen Tools

Aktuelles , , Fakultät Gesundheitswesen, Marketing und Kommunikation , Von: Jennifer Bullert (metropolregion.de)

Das Senioren- und Pflegezentrum Haus St. Vinzenz in Braunschweig fungiert als Living Lab.

Ende April fand ein erster Workshop im Haus St. Vinzenz statt. Die Teilnehmenden freuen sich auf die Erprobung digitaler Tools. Foto: Jennifer Bullert
Ende April fand ein erster Workshop im Haus St. Vinzenz statt. Die Teilnehmenden freuen sich auf die Erprobung digitaler Tools. Metropolregion/Jennifer Bullert
Das Senioren- und Pflegezentrum Haus St. Vinzenz in Braunschweig.
Das Senioren- und Pflegezentrum Haus St. Vinzenz in Braunschweig. Metropolregion/Jennifer Bullert
Portraitfoto von Prof. Dr. habil. Martina Hasseler, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Prof. Dr. habil. Martina Hasseler lehrt und forscht an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften. Foto: Ostfalia
Silvia Bothe leitet das Haus St. Vinzenz in Braunschweig.
Silvia Bothe, Einrichtungsleiterin im Haus St. Vinzenz in Braunschweig. Foto: Metropolregion/Jennifer Bullert
Beim Auftaktworkshop zum CoCare Lab haben die Teilnehmer den Ist-Zustand der Pflege im Haus St. Vinzenz analysiert.
Beim Auftaktworkshop zum CoCare Lab haben die Teilnehmer den Ist-Zustand der Pflege im Haus St. Vinzenz analysiert. Foto: Metropolregion/Jennifer Bullert

Seit April 2020 betreibt die Evangelische Stiftung Neuerkerode (externer Link, öffnet neues Fenster) ein Senioren- und Pflegezentrum in einem ehemaligen Krankenhausgebäude in Braunschweig. Das Haus St. Vinzenz (externer Link, öffnet neues Fenster), ursprünglich aus der Gründerzeit, wurde dazu umfassend saniert und bietet 97 Pflegeplätze. Künftig wird es zudem Living Lab für ein gemeinsames Projekt mit der Ostfalia-Hochschule für angewandte Wissenschaften und der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg GmbH (externer Link, öffnet neues Fenster). Im Projekt CoCareLab erproben die drei Partner digitale Tools für eine verbesserte Pflege. Erste Workshops haben bereits stattgefunden, um den Ist-Zustand in der Pflege zu analysieren. 

Im Interview mit Jennifer Bullert von metropolregion.de (externer Link, öffnet neues Fenster)gewähren Silvia Bothe, Einrichtungsleiterin im Haus St. Vinzenz, und Martina Hasseler, Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der Ostfalia-Hochschule, einen Einblick in die Arbeit des Pflegeteams und skizzieren, was das CoCareLab verbessern soll.

Schildern Sie bitte einmal, wie der typische Pflegealltag bei Ihnen aussieht.

Silvia Bothe: Morgens um 6 Uhr ist Dienstbeginn. Da beginnt die Übergabe vom Nachtdienst. Ab 6:30 Uhr starten wir mit der Bewohnerversorgung. Die Fachkraft übernimmt das Vorbereiten der Medikamente, plant und übernimmt die behandlungspflegerischen Tätigkeiten wie Verbände, Verabreichen von Medikamenten und Blutzuckerkontrollen, sowie Injektionen.

Nach der Grundversorgung beginnen dann die Nebentätigkeiten wie Dokumentation, Essen anreichen, Toilettengänge etc. Mehrmals werden immobile Bewohnende gelagert und zum Trinken animiert und angeleitet. Dabei darf man die Individuellen Bedürfnisse eines jeden nicht außer Acht lassen. Die Fachkraft ist in der Zwischenzeit mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt wie Visiten, Änderung oder Anforderung von Verordnungen mit deren Umsetzung. 

Um 13:30 Uhr ist dann wieder Übergabe mit dem Spätdienst, wo man eigentlich sagen kann, es ist dasselbe Prozedere wie im Frühdienst nur umgekehrt. Der Dienst geht dann bis um 21:42 Uhr, bis der Nachtdienst kommt. Die krumme Uhrzeit kommt durch die Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden zustande.

Schichtdienst, physische aber auch psychisch-emotionale Komponente: Wo sehen Sie aktuell die größte Belastung im Pflegealltag und wünschen sich am meisten eine Unterstützung?

Silvia Bothe: Es wird zu viel Zeit mit den administrativen Aufgaben und der Dokumentation verbracht, wo demnach dann die Zeit für die Bewohnenden fehlt. 

Mit welchen Maßnahmen haben Sie in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen sammeln können? 

Silvia Bothe: Wir haben gute Erfahrungen mit der Dokumentation über mobile Endgeräte gemacht, sodass man nicht auf ein Büro und einen Computer angewiesen ist und somit zeitnah dokumentieren kann. 

Was haben Pflegeheimbewohner*innen Ihnen als gute Entwicklung zurückgemeldet?

Silvia Bothe: Die digitalen Pflegebetten werden von Pflegeheimbewohnen als gut handelbar beurteilt. Aber hier geht es mehr um das Hoch- und Runterfahren des Bettes, Verstellen des Kopfteils und des Beinteils. Aber die intendierte Wirkung der Pflegebetten können weder von den Pflegeheimbewohnenden noch von den Pflegeberufen angewendet und beurteilt werden. Die Careboards sind dafür zu kompliziert und man muss sich anmelden.

In der Betreuung haben die Pflegeheimbewohnenden außerdem positive Erfahrungen mit der Memorebox gemacht. Die Memorebox ist ein digitales Spieletool, was auf einem Fernseher abgespielt wird und zur Bewegung und zum Denken animiert.  Auch die Wii-Angebote kommen gut an. Die Bewohnenden freuen sich über diese Anwendungen. Insgesamt haben sie mit digitalen Tools der fachpflegerischen Versorgung aber gar keine Erfahrungen.

Welche digitalen Assistenzsysteme haben Sie denn bereits ausprobiert? 

Silvia Bothe: Wir haben die digitalen Pflegeheimbetten und ein weiteres Projekt zu Inkontinenzmaterialen mit Sensortechnik erprobt. Beide Projekte waren aber nicht erfolgreich aufgrund technischer Probleme und fehlender Interoperabilität. Bspw. hat die Sensortechnik aus dem Inkontinenzmaterial keine Signale übertragen. 

Welche Assistenzsysteme sollen noch zum Einsatz kommen?

Martina Hasseler: Gerade weitere zu erprobende digitale Tools in der Langzeitpflege sollen im CoCare Lab-Projekt gemeinsam gesucht und erprobt werde. Diese sollen aber gemeinsam mit den Pflegefachberufen in der Einrichtung als sinnvoll beurteilt werden. Dafür wurden teilweise schon gemeinsame Workshops durchgeführt, nicht nur um die sinnvollen digitalen Tools zu analysieren, sondern auch, um gemeinsam Szenarien zu entwickeln, wie diese eingesetzt und wirken sollen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Ostfalia-Hochschule dabei aus?

Martina Hasseler: Die Ostfalia, also wir, übernehmen die wissenschaftliche Leitung und koordinieren den partizipativen Ansatz. Des Weiteren sind wir verantwortlich für die wissenschaftliche Begleitung, also der Begleitung der Erprobung der digitalen Tools.

Welche Kriterien muss ein digitales Tool erfüllen, um langfristig eine bessere Pflege zu gewährleisten oder dabei zu unterstützen?

Martina Hasseler: Die digitalen Tools müssen gut für alle umsetzbar, müssen gut in den Arbeits- und Pflegeprozess integrierbar sein und die Pflegefachberufe in ihrer Arbeit unterstützen. Sie müssen das Potenzial haben, die Qualität und die Ergebnisse der fachpflegerischen Versorgung zu verbessern.

Bottom-up statt Top-down: Welcher Vorteil birgt dieser Ansatz?

Silvia Bothe: Der Vorteil ist, dass alle mitgenommen werden, wo sie gerade auch bezogen auf ihre Kompetenzen und Bedarfe stehen. Wir können die Mitarbeitenden mitnehmen und ihre Bedarfe erfragen und integrieren. Die Bereitschaft nimmt zu, die digitalen Tools zu erproben. 

An welchen Stellen können Herausforderungen bei der Etablierung von neuen Tools auftreten?

Silvia Bothe: Prinzipiell an mehreren Stellen, z.B. an der fehlenden Interoperabilität, bei zu hohem Komplexitätsgrad.

Wie wird das Personal im Umgang mit den digitalen Tools geschult?

Silvia Bothe: Wir haben sowohl Einzel- als auch Gruppenschulungen vorgesehen, da die Mitarbeitenden die digitalen Tools kompetent einsetzen sollen. Falls doch einmal Fragen zur Handhabung etc. auftauchen, muss ein Mentor bzw. Ansprechpartner gegeben sein, der unterstützt.

Wie wirkt sich der Einsatz am Ende auf die zu Pflegenden aus? Inwiefern werden sie in die Evaluation der Tools mit einbezogen?

Silvia Bothe: Dieses Projekt ist ein öffentlich bekanntes Projekt und wenn Bewohnende oder Angehörige dazu Fragen haben werden diese selbstverständlich beantwortet. Falls die Tools die zu Pflegenden betreffen, werden diese selbstverständlich darüber informiert und auch die Meinung bzw. das Feedback von den zu Pflegenden und ggf. deren Angehörigen kann von guter Erkenntnis sein. 

Wie sieht der Evaluierungsprozess aus?

Martina Hasseler: Er wird begleitend durchgeführt und es werden Datenerhebungsmethoden wie teilnehmende Beobachtungen, qualitative Interviews und ggf. Dokumentenanalysen durchgeführt. Die Kernpunkte, die beobachtet werden sind Usabilty, Feasibilty und eine angemessene Umsetzung in den Pflegeprozess. Die Tools sollen die Arbeit der Pflegefachberufe so unterstützen, dass sie das Gefühl haben, eine qualitativ hochwertige Langzeitpflege durchzuführen. Die Ergebnisse der Evaluierung werden regelmäßig an die beteiligten Firmen bzw. Unternehmen gespiegelt, sodass sie ihre Tools an den Bedarfen eines Pflegeheims anpassen können. 

Das Projekt hat nun Anfang des Jahres begonnen und läuft noch bis 2027. Welche Kriterien müssten abschließend erfüllt sein, damit Sie das CoCareLab als Erfolg bezeichnen würden?

Martina Hasseler: Die Kriterien sind auf zwei Ebenen angesiedelt: a) wir haben gemeinsam digitale Tools gefunden und weiterentwickelt, die die pflegerische Versorgung in Pflegeheimen unterstützen und verbessern und b) wir werden vom Land oder anderen Mittelgebern unterstützt, dieses digitale Living Lab weiter zu führen, weil Digitalisierung in der Langzeitpflege ein kontinuierlicher Prozess ist. Des Weiteren werden noch viel zu viele digitale Tools vorbei an den Bedarfen und Prozessen der langzeitpflegerischen Versorgung entwickelt, die keinen Nutzen haben. Dieses digitale Living Lab hat das Potenzial, gemeinsam mit Mitarbeitenden von Pflegeheimen und den Firmen die digitalen Tools so weiter zu entwickeln, dass sie die langzeitpflegerische Versorgung im Sinne der Menschen unterstützen und verbessern. 

Das Projekt CoCareLab wird kofinanziert von der Europäischen Union und dem Land Niedersachsen.